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Klaus Cäsar Zehrer: DAS GENIE

 

Kontext und Zeitgeist:

 

USA zur Jahrhundertwende und im 1. Und 2. Weltkrieg

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Protagonisten und Themen

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2 Erzählungen,

die der Eltern Sarah und Boris Sidis,

und die des Genies William James Sidis

Problematische Geschichte der Eltern:

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Boris, im Lesekreis als Großkotz bezeichnet ;-), exzentrisch, mit Trauma und Traum:

Er ist seelisch geschädigt durch 2 Jahre Isolationshaft in Russland, weshalb er mit seinen letzten finanziellen Mitteln nach Amerika emigriert.

Sein Denken ist pragmatisch, „Das einzige Vermögen, das einem keiner stehlen kann, ist jenes, das man im Kopf hat“

 „Das menschliche Geschlecht, der erstarrte Homosapiens wird wieder radikal verändert werden und wir unter seinen eigenen Händen zum Objekt der kompliziertesten Methoden künstlicher Auslese und psychologischer Trainierung werden. Der Mensch wird unvergleichlich stärker klüger feiner werden. Der menschliche Durchschnitt wird sich bis zum Niveau eines Aristoteles, Goethe, Marx erheben“  S 528 von Billie zitiert

Er erscheint frauenverachtend, das 2. Kind, vielleicht weil eine Tochter, wird als  nicht intelligent genug wahrgenommen um  der Begabtenförderung würdig zu sein. Die Mutter schließt sich dem an, findet eine weitere Anwendung der Sidis-Erziehungsmethode in diesem Fall doch als zu anstrengend.

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Sarah,  sehr ehrgeizig, materiell orientiert, promoviert zwar während der Ehe in Medizin, praktiziert jedoch nicht und unterstützt ohne eigenes Engagement Boris voll und ganz in seiner „Unterrichtsmethode“, wenn auch bei ihr manchmal leise Zweifel nagen. Über den Tod ihres Sohnes hinaus wendet sie sich nach dem Bruch nicht mehr ihm zu.

 

Billy:  Erziehung und „Förderung“

Die sogenannte frühkindliche Erziehung eine Form von Missbrauch;  Ergebnis: bei Billy fällt das Fehlen der kognitiven Fähigkeiten auf. Er ist sozial zurückgeblieben und ihm fehlt es an Empathie.

Einzig im Versteckspiel mit der jüngeren Schwester – wird ihm erstmals der Perspektivwechsel möglich, WER BIN ICH, wie nehmen mich die anderen wahr, und möchte gefunden werden…oder NICHT GESEHEN WERDEN? (Entzug von der Autorität der Eltern/des Vaters), ist begeistert vom Spiel…

 

Rolle der Medien bei Erfolg, bzw. Misserfolg: Vom Wunderkind zum Loser

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Billy, von der Presse verfolgt, von den Eltern als Projekt betrachtet, wird zum Experiment gemacht, sehnt sich als Jugendlicher nach Normalität und Anonymität  in der Verzweiflung „irgendwie anders „ zu sein. Als Erwachsener wird die Negativ-Bilanz publiziert, dass er sich für wenige Dollar die Stunde für Büroarbeiten verkaufte.

Sehr berührend ist für den Leser  der ethische Entschluss Billies, überzeugter Pazifist, in die „Loser-Büroarbeit“ zu gehen und nicht mehr in der Wissenschaft zu bleiben „ich darf mein Wissen nicht weitergeben, damit es nicht missbraucht wird“ (Militärische Nutzbarkeit). – seit  Anbeginn wird hier  die Janusköpfigkeit der Wissenschaft thematisiert. –

Als Weg in die Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung und versuchte Freiheit empfindet er vermutlich die Straßenbahnfahrten, das Schienennetz.

“ …von einer Straßenbahn in die nächste, von einer Stadt  zur anderen, durchs ganze Land, die ganze Welt, immer der Nase nach. Was, wenn nicht das, war Freiheit?“ #270

 

Fiktives Denkmal, vor Billies geistigem Auge:

 

„An dieser Stelle erlangte am 28. Oktober 1923 um 1608 William James im Alter von 25 Jahren Sidis und … Monaten und …Tagen Normalität“  #485

 

Ich möcht‘ einmal ein anderer werden, wie ein anderer solcher geworden ist…(Peter Handke)

 

Das unglückliche, aber stimmige Ende: „..und er wurde ein Teil des Ganzen und schwebte in Helligkeit und sein Leib war ohne Gewicht und sein Geist ohne Qual und Leiden.“

Er war frei.

 

Der Schreibstil

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Der Schreibstil ist kalkulierend kühl, ohne Wärme für die Protagonisten und spiegelt somit die Erziehungsmethode. Bei manchen werden atmosphärische Bilder vermisst.

Teilweise humoristisch erzählt, mit wenn auch traurigem Amüsement.

Vergleich mit Kaspar Hauser   -  Peter Handkes Stück über die „Dressur des Menschen durch Sprache und Sprachregeln“

 

Fazit

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Wurde der Autismus hier anerzogen?

Ergebnis der Erziehungsmethode: die emotionale Vereinsamung und sein fehlendes Selbstwertgefühl

„…und als er glaubte, den Impfstoffe gegen die Dummheit entdeckt zu haben, nämlich seine Erziehungsmethode…und was für eine Ernüchterung ja Verbitterung als sich im weiteren Testverlauf (des Sohns) Komplikationen einstellten. und William hatte es vermasselt. Andererseits: Hatte ein Vater das Recht, sein Kind zur Überprüfung seiner Theorien zu missbrauchen? Und nebenbei: Wäre die Welt besser geworden, wenn sich die Sidis-Methode flächendeckend durchgesetzt hätte?  Wenn die Universitäten voll mit Zehnjährigen wären „

Auf einmal fiel William so viel  ein, worüber er gerne mit seinem Vater diskutiert hätte. Er wollte ihm sagen, wie sehr er bedauerte, ihn  enttäuscht zu haben.“  #488- 489

 

Der Roman wirkt auf uns faszinierend, schockierend und teilweise verstörend, tragisch und  erschütternd. Im wahrsten Sinne des Wortes keine leichte Lektüre, so auch ob der 656 Seiten

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