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Claire Fuller: Eine englische Ehe 

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Das Romangerüst im Klappentext: 2004 vermeint der gealterte Gil seine seit 12 Jahren verschwundene Frau aus dem Fenster auf der Straße zu erkennen und hat dadurch einen Unfall. Anlässlich diesem tritt die verbleibende Familie bestehend aus seinen beiden Töchtern Flora und Nan wieder zusammen.

Die Geschichte hat 2 Erzählebenen:

  • Die Haupt-Story rollt sich 1976 mit Gil als attraktiven Literaturprofessor, ein „anerkannter“ Frauenheld und der sehr jungen, ihn bewundernden, schwärmerischen Ingrid, als seine lern- und wissbegierige Studentin, die sich ineinander verlieben, auf.

Es kommt zu einer ungewollten Schwangerschaft und schließlich Heirat. Aufgrund der Statuten der Universität darf Ingrid nicht weiter studieren, und ihren Abschluss machen, Gil kostet es die Anstellung. Ingrids Ambitionen, als unabhängige, und selbstbestimmte, weltoffene Frau, enden im Mutterdasein, Heimchen am Herd, Betrug und Geldsorgen. Eine innere Verbundenheit durch die Geburt und Blutsverwandtschaft Nan’s stellt sich bei ihr nicht ein, was sie irritiert und besorgt..

  • In der Gegenwart: zum Zeitpunkt des Unfall Gil‘s und danach, geht es um die beiden Töchter, traumatisiert durch das nie aufgeklärte Verschwinden ihrer Mutter und den Verlust.

Nan macht sich Vorwürfe, am Verschwinden ihrer Mutter schuld zu sein, da sie sich am Tag ihres Fortgehens versteckt hatte, und diese so in ihren Augen einfach gehen ließ. Sie vertrat die Mutterrolle an ihrer 10-jährigen Schwester mit 15..

Flora, die jüngere Tochter, ist immer noch davon überzeugt, dass die Mutter noch lebt.

 

Der Roman ist intensiv, nicht geschönt geschrieben, einzuordnen zwischen Drama und Krimi.

 

Wie hat es uns gefallen:

Die Erzählform gibt einen interessanten Bezug zur Literatur: Gil ist begeisterter Sammler von Büchern aller Art, insbesondere welchen mit Randnotizen, fast schon messie-haft. Ingrid, die ihre Briefe Gil nicht aushändigt, versteckt sie in seinen Büchern mit der passenden Thematik.

Sie werden chronologisch erzählt, klingen zunehmend bitterer, von Enttäuschung und Verzweiflung geprägt. Sie fangen im Sommer 1993 an, als er Ingrid verlassen hat, um in London zu leben.

Sympathieträger für unsere Gruppe ist Richard, der Freund Floras, der Kunst studiert und versucht ausgleichend zu wirken, den „Mädels“ gegenüber, sowie Gil.

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Das Buch bietet viele Interpretations- Spielräume:

Verbrennung der  Bücher

  • Eitelkeit?  Prolog „bei Eintritt seines Todes seine Bücher auf einem einzigen großen Haufen zu verbrennen(…) ein Leuchtfeuer, das seinen Tod verkündete…"

  • Oder dem Wunsch Ingrids folgend?,  Seite 339 „..du musst (Briefe) sie zerstören, zerreißen, wegwerfen, verbrennen. Lass sie nicht den Mädchen in die Hände fallen…"

 

Bereut Gil sein Verhalten? S. 209: „Es lohnt sich nicht“ sagte Gil. „Was lohnt sich nicht? „Jemanden unglücklich zu machen, den man liebt.“

 

Lebt Ingrid doch noch? Erscheinung im Epilog..

 

Stimmung im Werk:

.. ist geprägt von der Melancholie. Ingrids  Einsamkeit, Entrüstung, Enttäuschung, Vernachlässigung, das Bewusstsein geplatzter Lebensträume.

Was ich liebe: wie wir damals waren und wie (was) wir hätten werden können“

Seite 71: "…will nicht mehr die Augen vor der Wahrheit verschließen, hier, in den Briefen stehen die nackten Tatsachen.“

Es steht im extremen Kontrast zu  Gils Unbekümmertheit, Arroganz, Hahnenverhalten, Verantwortungslosigkeit.  

Gespräch Jonathan/Gil Seite 202: „…“dass barfuß herumzulaufen und schwanger zu sein das ist, was Ingrid will. Ich dachte, sie wollte mehr“

„Ich habe sie gerettet“, sagtest du ohne eine Spur von Ironie.

„Wovor um alles in der Welt?“

„Vor einem traurigen und einsamen Leben“       -     Brief in Gierig, von Martin Amis

 

Besonders hat uns berührt:

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das Zitat Seite 241 „Der Garten und das Schwimmen waren meine Ablenkung von den Geldsorgen und den endlosen Aufgaben als Mutter. Das Wasser tat dem gut, was in mir vorging. (….) Diese Morgen hatten etwas Magisches. Ich stellte mir das Baby in seinem Fruchtwasser vor, während ich in meinem Wasser war, jeder in seinem Element.“

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Die bewegende Schilderung der Fehlgeburt Ingrids, das Baby, das zu früh auf die Welt kam und es nicht geschafft hat :

Seite 247 „unser kleiner George, kalt und allein. Ein kleiner Fisch, der zu früh aus seinem kleinen Meer geschwommen ist.“

 

Zeitgeist:

Seite 160: Ingrid / Dekan der Universität: „Aber nächste Woche fangen meine Abschlussprüfungen an“

„Gehen sie nach Hause und kümmern sie sich um ihren Mann und ihr Baby.“

und das war das Ende meines Studiums, eine Woche bevor ich es ohnehin abgeschlossen hätte.“

Brief in „Ratschläge an eine Ehefrau zur Erhaltung ihrer Gesundheit und Behandlung …Pye Henry Chavasse, 1913

 

 

Gestört hat uns:

Die Übersetzung des Titels scheint uns misslungen. „swimming lessons“ passte wunderbar zu der Erzählung. Welchen Kontext „eine englische Ehe“ haben soll, haben Engländer*innen nicht verdient.

Die skurrilen Skelettszenen 😉,  das Flora Richard mit Edding auf den Körper malt, Annie, das Skelett als Gast fanden keinen Anklang, Floras ständiges Tragen des alten Ballkleides von Ingrid wurde als übertrieben empfunden.

 

Zum Buch Cover:

Das Buch Cover ist außergewöhnlich künstlerisch und dem Romaninhalt angepasst. Ingrids Hobby, eher Passion, ist das Schwimmen. Ihre einzige Möglichkeit sich frei zu fühlen, einig mit sich selbst zu sein. Auch die Flucht ist in ihrem Element  arrangiert.  Die Wellen des Wassers, die die blonden Haarsträhnen aufnehmen..

 

 

Bei diesem Buch möchte ich schließen mit für mich besonders bemerkenswerten Zitaten Gils über Autoren, Bücher und ihre Leser 😉!

Seite 36 „alle Bücher werden durch den Leser geschaffen ..(..) wenn ihr das nicht versteht, welche Bedeutung das für eure eigene Arbeit hat, dann wisst ihr nicht das geringste über das schreiben und ihr werdet auch nie..“

Seite 45 „zeigen, dass wir alle etwas anderes aus einem Buch mitnehmen“

Seite 137 „Gibt es keine Leser, haben all die Bücher keinen Sinn „deshalb sind die Bücher genauso wichtig wie der Autor, wenn nicht wichtiger „

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