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Dörte Hansen ZUR SEE

Zum Buch:

Erzählt werden die Lebensläufe mehrerer Inselbewohner, insbesondere der Familie Sanders.

Es geht um das, was uns letztendlich prägt, sei es die Landschaft, die Umgebung in der wir aufwachsen, oder die Geschichte unserer Eltern, Großeltern und Vorfahren. Unsere Identität, unsere Wurzeln und um den Wandel und die Veränderung, die der Tourismus mit der Kultur der Menschen macht.

 

Personenkonstellationen

Die Sanders:

  • Eltern Hanne und Jens: Seite 186: „Zwei Sprösslinge aus altem Inseladel, füreinander wie gemacht.“ 

Jens Sanders Vorfahren waren Walfänger, auch er ist zur See gefahren, bevor er dann 20 Jahre Vogelwart auf der Insel wurde, isoliert, nur er und die Vögel.

Hanne hat ihr eigenes „autonomes Feld“, sie stellt sich den Realitäten des Wandels, beginnt mit Touristenvermietungen. Außerdem engagiert sie sich für das „Heimatmuseum“. 

 

  • Ryckmer, der älteste Sohn   - hat traumatisierte Erlebnisse zur See (er sah die weiße Wand der Nordsee) und hat deshalb eine Negativ-Karriere vom Kapitän zum Fährmann erreicht. Er ist Trinker und spielt nun den Seebären für die Touristen. Ryckmer hat die Rolle des Erzählers und „Bewahrers“ der Traditionen, Geschichten und Balladen. Seite 16: „Auf allen Inseln gibt es einen, der die Sagen kennt, die alten und die neuen Mythen.“

  • Tochter Eske, ist studierte Sprachforscherin, hat promoviert, arbeitet jetzt auf der Insel als Altenpflegerin. Sie ist die „Rebellin“ in der Familie, bezieht besonders Front gegen ihre Mutter, deren Unternehmen, Treiben sie verachtet.

Sie hat eine Beziehung zu Freya, die Tätowiererin ist.

  • Henrik Sander, das jüngste Kind ist Künstler, Treibgut-Sammler, der einzige Sander, den es nie auf ein Schiff gezogen hat.  Er feiert im Buch gerade seinen 30. Geburtstag. Sommers wie winters ist er barfuß, lehnt Schuhe ab. Wir vermuten, dass er sich vielleicht so mit der Erde verbunden fühlt, geerdet.

 Inselbewohner:

  • Fleming Jespersen, ein Däne, der die Sprache der Inselbewohner „analysieren“ will. Er ist die Vertrauensperson, dem Ryckmer vom Missbrauch als Kind durch einen Touristen  erzählt.

  • Der „schöne“ Pastor Lehmann, hegt Zweifel an seiner Berufung, ist desillusioniert, hat eine Beziehungskrise mit seiner Frau. Er joggt über die Insel, denn:  Seite 26 ..“ein schlendernder Pastor ist leichte Beute für all die Einsamen und Angeknickten, chronisch Kranken …(..)… 

  • Henri Brix „ist froh, dass er nicht mehr zur See muss, wie die Väter,“ fährt dafür die Touristen mit der Kutsche über die Insel.

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Wie hat es uns gefallen?

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Wir sind begeistert von der Art der Sprache und ihrer Poesie. Wir können in diesem Fall keinen absoluten Sympathieträger in der Geschichte küren, weil für alle Verständnis und Zuneigung besteht.

Obwohl die Dialoge fehlen, klingen die Stimmen der Akteure, wie auch ihre Gedanken, im Kopf. Die Szenen wirken emotional sehr nach.

Der Ton ist abgeklärt, gewollt trocken und nüchtern, manche Satzteile, um die Wirkung zu untermauern, auch redundant.

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Was hat uns gefallen?

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Herrlich spezielle Wortschöpfungen in ihrer Ironie bereiten uns besonderes Vergnügen:

Pastor Lehmanns Kurzandacht zur Mittagszeit „Seelensnacks im Inselkirchlein“ Seite 24

„Kurztripper nennt Eske diese Feiertagstouristen“.. Seite 181 

„fifty shades of beige“ Seite 121, gemeint sind Birte Diecks Strickjacken, die, Seite 130  „die Farbe von verdorrtem Gras haben“.

Die Ergebung des Pfarrers, Seite 130: „Zeit für das Schlichtkleid, Pastor Lehmann“

 

Seite 81: Hanne über Henrik „und heute sammeln Kunstversteher seine Treibholzwerke“.

 

Besonders berührt hat uns:

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Das Stranden des Pottwals und dessen Tod, das „Jahrmarktsspektakel“, das es auslöst, auch in den Gefühlen Jens Sanders.

Seite 155 „und jede Nacht, bevor er schläft, sieht er das Auge dieses jungen Wals vor sich, der sterben musste, weil er sich verschwommen hatte.“

Besonders obsessiv erscheint, als Henrik im Blut des Wals beim Zerteilen steht.

Seite 145: „Neben ihnen steht der Mann der heute Morgen barfuß kam, jetzt ragt nur noch sein Oberkörper aus der dunkelroten Masse.“

Wir denken an die Mythologie von Moby Dick/ Kapitän Ahab.

 

Wir sprachen über:

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Es bilden sich  bildende Parallelgesellschaften auf der Insel: Insulaner und Touristen.  Wir fragen uns, ob der Brecher der Intimsphäre der Inselbewohner der Tourist ist.

Seite 183: „Die Insel schien, wenn die Saison begann, auf einmal zu vibrieren…(…). Die Kinder zogen in die Sommerkammern, und die Mütter standen unter Strom“.

Henri Brix, S.190: „Auf jeder Fahrt gibt es die Räsonierer und Blasierten, für die ein Mensch auf dem Kutschbock ein Idiot ist, oder ein Lakai. Und einen pensionierten Besserwisser, der einem unbedingt den Tidenhub erklären muss…..(…) Man zahlt ein Seelengeld für dieses Leben.“

Die Rolle der Inselfrauen, einsam, wartend, stark, und ihre Energie, Organisationstalent.

 

Lieblingszitate:

Geschickt verwebt Dörte Hansen ein altes Seemannlied mit der Situation von Vater Jens und Sohn Ryckmer: Die Bedeutung verändert, von der "Stimmungsmache" zur Melancholie „What shall we do with the drunken Sailor.“. Jens über seinen Sohn Ryckmer Seite 154: „Er  ist wohl kaum der Mann, der seinem Sohne mit guten Ratschlägen zu kommen braucht.“

 

Poesie pur:

 

Seite 23:„Man muss, wenn man auf einer Insel lebt die Tagesränder suchen. Die Dämmerzeiten..“

 

Seite 173: „der Quittenbaum in ihrem Garten blüht in diesem Jahr für zwei. Die Krone ist wie eingeschäumt, in seinen Zweigen summen die Insekten."

Seite 179: „Heute früh war es fast sechs, als sie auf ihren Wecker sah. Die Amseln lasen ihr schon die Leviten“.

 

 

Fazit:

Ein schönes Buch!

Auch das Cover gelungen, stellt man das Buch auf den Kopf, befinden sich an der Flute des Wals Marionettenfäden, nämlich die Leinen des stürzenden Seemanns zum Walfang😉

 

Zum Abschluss Dörte Hansens Kontext zum Seemanns-Symbol, auch für Tattoos:

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Glaube Liebe Hoffnung –

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Der Glaube ist ein krankes Kind,

die Liebe ist ein Biest,

die Hoffnung ist nicht klein zu kriegen!!

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