Eve Harris: Die Hochzeit der Chani Kaufman
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Der Roman beginnt im November 2008 und endet ebenfalls in diesem Monat. Der Handlungsverlauf beinhaltet zeitlich versetzte Rückblenden, die zwischen den Jahren 1982 bis zur Gegenwart (2008) in den Orten London und Jerusalem wechseln. Dabei wird die Geschichte dreier Paare und ihrer Entwicklung in verschiedenen Zeitabschnitten vor dem Hintergrund der besonderen Strenge ihrer Religion beleuchtet.
Wie hat es uns gefallen:
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Es ist faszinierend, Einblicke in eine so fremde und abgeschottete Welt zu erhalten, wie sie in der orthodoxen jüdischen Gemeinschaft existiert. Die strengen traditionellen Vorschriften und Bräuche werfen Fragen zur individuellen Identität auf. Die Sensibilität, mit der die Autorin die inneren Konflikte ihrer Charaktere beschreibt, macht den Roman besonders tiefgründig und intensiv.
Was hat uns gefallen:
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Der Schreibstil der Autorin ist lebendig, jung, frech und emotional packend. Das Buch berührt gleichermaßen positiv wie negativ. So fehlt auch nicht ein guter Anteil jiddischen Humors . Die Schilderung der Sorgen, Ängste, Hoffnungen ihrer Figuren und ihre religiöse Überzeugung werden eindringlich, mit viel Gefühl, aber ohne Wertung wiedergegeben.
Die Paarbeziehungen
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Chani und Baruch, am Anfang ihres gemeinsamen Lebensweges, verunsichert und gefangen im strengen orthodoxen Verhaltensrahmen, haben sie dennoch einander gewählt und stehen dafür ein.
Das Kennenlernen: Seite 266: „Sehr groß, dachte Chani. Möglicherweise ein wenig zu groß. Es war, als stünde man im Schatten einer dünnen struppigen Palme. Sie beäugte die 3 Pickel, die an seiner Kinnpartie klebten wie Napfschnecken auf einem moosigen Stein. Wenn er seinen Bart wachsen ließe, wäre das vielleicht eine gute Tarnung.“
Beide fühlen Beklemmung, und Furcht vor der Hochzeitsnacht, ein Resultat der fehlenden Aufklärung in diesem religiösen Kontext.
Das Interesse am menschlichen Körper oder darüber hinaus ihren Vorgängen wird insbesondere bei Mädchen mit „widernatürlicher“ Neugier abgetan. Seite 21: „Mach das nochmal, und du findest dich auf der Suche nach einer anderen Schule wieder, einer Schule für schamlose Mädchen wie dich.“ …(..) Sie lebte unter einer Glasglocke.“
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Rivka und Chaim, das Rabbinerpaar, die sich in Jerusalem kennenlernen, als Rebecca noch Jeans und Top trägt. - S. 151 „Chaim kam aus einer liberalen jüdischen Familie, die Traditionen bedeuteten ihm nicht viel.“
Ihr Lebensweg nimmt eine umgekehrte Entwicklung – vom modernen Jerusalem zum Konservatismus.
Der tragische Unfall des 3-jährigen Sohnes läßt sie zu einem Neuanfang in Golders Green aufbrechen und all das, was/wie sie vorher lebten gestaltet sich um
Chaim: Seite 134: „Aber es ist etwas, was ich an strenggläubigen Menschen mag – sie vertrauen einfach vorbehaltlos, und ihr Glaube gibt ihnen Antworten“ …. „Er veränderte sich, und wenn sie nicht auf der Strecke bleiben wollte, musste sie sich an diese Veränderungen gewöhnen".
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Avromi und Shola, Sohn des Rabbinerpaares und eine schwarze britische Kommilitonin; er „versündigt“ sich mit einer Ungläubigen, beendet jedoch letztendlich die Beziehung und leidet sehr. Seite 412: „Er war fest entschlossen, seinen Platz in der frommen Welt wiederzufinden, in die er geboren war.“
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„Der Jugend sei verziehen, glauben die Väter, sie wissen am Ende, wohin sie gehören.“ Dies reflektiert die Spannung zwischen den Generationen und den unterschiedlichen Ansichten über Tradition, Identität und die Zukunft.
Wir fanden am Berührendsten:
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Die Szene der Fehlgeburt der Rebbetzin hat uns besonders berührt. Gebote zu achten erscheint hier wichtiger, als Leben zu retten: Die erschreckende Unfähigkeit des Rabbiners, zu entscheiden, was zu tun ist, ob er helfen darf. Seite 48: - Die Wichtigkeit der Verhüllung der Haare, als die Sanitäter endlich eintrafen und sie abholten. Seite 54/55 „Bedeckt Sie“ schrie er. (…). In seinen Augen stand das Entsetzen. „Sie verstehen nicht-, ihr Haar“ (…) es ist nicht bedeckt.“
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Lieblingsfiguren:
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Chani und Rivka, sind beide selbstbestimmte und eigenwillige Charaktere, die sich mit ihrem Glauben auseinandersetzen – sie wollen ihn leben, befinden sich jedoch im Konflikt zwischen den Erwartungen der ultra-orthodoxen Gemeinde und ihren persönlichen Wünschen. Sie sind auf der Suche nach Identität, Liebe und Freiheit in einer streng regulierten Umgebung.
Besonders kritisch empfanden wir:
Die Mizwar besteht aus 365 Verboten und 248 Geboten, die das Leben der streng orthodoxen Juden in engen Bahnen halten.
Es wird festgestellt, dass 365 Verbote = soviel das Jahr Tage hat, und
248 Gebote = soviel der menschliche Körper Knochen hat 😉
Die Botschaft / Fazit :
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Die Autorin hat erfolgreich dargestellt, wie eine Gemeinschaft ruhig und perfekt erscheinen kann, wenn jeder seine Rolle spielt und sich entsprechend verhält. Gleichzeitig zeigt sie auf, dass hinter dieser Fassade auch Frustration und individuelle Probleme existieren. Es wird verdeutlicht, dass trotz äußerer Perfektion jeder Einzelne mit eigenen Herausforderungen zu kämpfen hat.