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Edouard Louis: Anleitung ein anderer zu werden

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Wieder ist es ein junger Schriftsteller, der uns beschäftigt. Der Klappentext ist gleichzeitig „Die Eröffnung“.

Mehr auf den Punkt bringt es der französische Originaltitel „Methode“. Es ist kein schönes Buch, keine Wohlfühl-Lektüre. Es regt zum Diskutieren an 😉.

Die „Anleitung“ reflektiert eine ernsthafte Auseinandersetzung mit sich selbst, seinem Klassenaufstieg durch Bildung, seinem Wunsch nach Anerkennung und Glück, aber die Veränderung bewirkt auch Entfremdung , Scham und Schuld.  

Schlüsselsatz Seite 165: „Mein Privileg bestand darin, dass ich ein Leben ohne Privilegien kennengerlernt hatte.“

 

Wie hat es uns gefallen:

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Louis Sprachstil ist gehoben, gepflegt und elegant, erinnert in Teilen an Mercier, in der Schonungslosigkeit an Annie Ernaux.   

Seine Intension findet sich im 2. Prolog Seite 22: „ob ich jemals eine solche Szene würde scheiben können, eine Szene die ungeheuer weit weg von dem Kind war, das ich einst gewesen bin, und von seiner Welt, (….) alles zu erzählen, was zu dieser Szene geführt hatte,(…...) in dem Versuch,.in der Zeit zurückzugehen.“

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Was hat uns gefallen:

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Die Meinungen sind ambivalent und meist nicht zu seinen Gunsten:

Er schreibt strikt subjektiv aus seiner eigenen Perspektive, so dass der Blickwinkel einseitig bleibt.

  • Die Selbstreflexion sind fiktive Aussprachen mit dem Vater: „Imaginäres Gespräch vor dem Spiegel“

 

  • Er will dem Milieu entfliehen, das ihn geprägt und verletzt hat.

 

  • Seine Rachegedanken für eine Kindheit in einem Dorf aufzuwachsen, dessen Atmosphäre von Armut, Alkoholismus, Gewalt, Aggression, Homophobie und Rassismus durchzogen war, lesen sich wie eine Abrechnung.

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  • Die „Cuts“, („Weitere Bilder, eine Erinnerung“) die er fortwährend bei seinem Weg, den er einschlägt, begeht, sind sehr hart und lassen ihn als fast schon beziehungsunfähig dastehen. Er lässt Menschen zurück, sei es seine Familie, die 1. Freundin Elena, sowie deren Mutter, die ihn unterstützt und gefördert haben, die Bibliothekarin und später die Theaterdirektorin Babeth, die ihn fast wie einen Sohn behandelt (S.107),  daher seine Schuldgefühle gegenüber denen, die ihm geholfen haben.

  • Der Versuch, alles abzustreifen, und sein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber – („Bitte denke nicht schlecht von mir“)  

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 Interessanterweise sind es überwiegend Frauen. Kein Platz für Liebe, gegenseitige Freundschaft. Seite 194:  - Egoismus in Reinkultur?

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  • Seite 226: „Er musste ein Millionär sein,  ein Prinz, ein bekannter Politiker, egal was, Hauptsache jemand der meinem Rachedurst angemessen war – Die Besessenheit zu gefallen, und dann: „(bitte verurteile mich nicht, ich versuche nur, so ehrlich wie möglich zu sein“

 

Einzig mit Didier Eribon (1953 geboren) ,  Journalist, Autor, Soziologe und Philosoph, der sein prägender akademischer Lehrer wird,  verbindet ihn bis heute eine intensive Freundschaft.

 

Nicht gefallen:

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  • hat der ironisch-bittere Unterton, der vermitteln kann, dass er sich wohlfühlt, in der Opferrolle.

  • Er kreist ausschließlich um die Befindlichkeiten einer, nämlich Seiner Person, mit der  Transformation als Selbstrettung.  

  • die fragmentierte Erzählweise, unzusammenhängende bruchstückhafte Szenen, müssen manchmal puzzleweise zusammengefügt werden.

 

  • Er  spricht von „langen Stunden, in denen ich mein Leben erlernte, als wäre es eine Theaterrolle“. Dies ist der Vorwurf, der in der Gruppe mehrfach wiederholt wird: sein Text lese sich, als würde er die spätere Verfilmung bereits mitdenken. - Auch das Ende kann so ausgelegt werden -,

  • der  Epilog, das Versöhnliche, schwer glaubhaft, die  Annäherung an die Familie.

Wirkt es berechnend ehrlich - oder doch wie der Ausdruck jener Transformation, die jede Entwicklung vom Kind über den Teenager zum jungen Erwachsenen durchläuft, ganz gleich, mit welchen Geburts- oder Lebensumständen man antritt?

 

Besonders berührt hat:

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  • Seine Hartnäckigkeit im Aneignen von Wissen und die Besessenheit nach Erfolg, Ruhm, Anerkennung.

Seite 71: „Also tat ich für das Lachen dasselbe wie für den Dialekt: ich übte; Ich beschloss ein neues Lachen zu lernen, allein durch Willenskraft".

  • Scham und Schuld:

Seite 267 „Ich glaube, ich schreibe, weil ich manchmal alles bereue, wie ich manchmal bereue, mich von der Vergangenheit abgekehrt zu haben, weil ich mir manchmal nicht sicher bin, ob die Bemühungen zu irgendetwas nütze waren. ….um ein Glück gekämpft, das ich nie gefunden habe.“ 

  • Seite 268: "Ich vermisse die Gegenwart"

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Unser Fazit:

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Egal wie sehr du dich „neu“ erfindest, du schleppst deinen „Rucksack“ mit dir, was zu Scham und Schuldgefühlen gegenüber denjenigen führt, die du auf deinem Weg nach oben zurücklässt.    

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