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Juli Zeh: Neujahr

Lanzarote, am Neujahrsmorgen: Henning sitzt auf dem Fahrrad und will den Steilaufstieg nach Femés bezwingen. Seine Ausrüstung ist miserabel, das Rad zu schwer, Proviant nicht vorhanden. Während er gegen Wind und Steigung kämpft, lässt er seine Lebenssituation Revue passsieren. Eigentlich ist alles in bester Ordnung. Er hat zwei gesunde Kinder und einen passablen Job. Mit seiner Frau Theresa praktiziert er ein modernes, aufgeklärtes Familienmodell, bei dem sich die Eheleute in gleichem Maße um die Familie kümmern. Aber Henning geht es schlecht. Er lebt in einem Zustand permanenter Überforderung. Familienernährer, Ehemann, Vater – in keiner Rolle findet er sich wieder. Seit Geburt seiner Tochter leidet er unter Angstzuständen und Panikattacken, die ihn regelmäßig heimsuchen wie ein Dämon.

 

Als Henning schließlich völlig erschöpft den Pass erreicht, trifft ihn die Erkenntnis wie ein Schlag: Er war als Kind schon einmal hier in Femès. Damals hat sich etwas Schreckliches zugetragen - etwas so Schreckliches, daß er es bis heute verdrängt hat, weggesperrt irgendwo in den Tiefen seines Wesens. Jetzt aber stürzen die Erinnerungen auf ihn ein, und er begreift: Was seinerzeit geschah, verfolgt ihn bis heute.

zur Autorin:

Juli Zeh (bürgerlich Julia Barbara Finck; geb. Zeh; Pseudonym Manfred Gortz; geboren  30. Juni 1974 in Bonn ist eine deutsche Schriftstellerin, Juristin und Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburgs, die mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde und auch durch ihr gesellschaftlich-politisches Engagement bekannt ist.

Neben ihrer literarischen Arbeit betätigt sich Juli Zeh auch journalistisch. Sie schreibt u. a. Essays für Die Zeit und die FAZ

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Wie hat es uns gefallen?

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Unser üblicher Einstieg in die Diskussion, ist in diesem Buch schlecht anwendbar.

 „Gefallen“ ist  nicht die richtige Begrifflichkeit. Fesselnd mit Sicherheit, oft verstörend und aufwühlend. Es hat ein interpretationsfähiges Open End,  bietet durchgängig Diskussionsgrundlagen.

Sämtliche Muster von Kommunikationsstörungen treten zutage. Die menschlichen Abgründe  und deren Folgen, zeigen die Hilflosigkeit mit der der  Einzelne  zu kämpfen hat – posttraumatische Belastungsstörungen – für Henning und seine Schwester Luna.

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Wie finden wir die Beschreibungen?

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Der Inhalt und Aufbau des Romans ist gut strukturiert,  stellt das dunkle „ES“ des Protagonisten Henning in den Vordergrund. (Sigmund Freud des Unterbewusstseins „ICH und ES“).

Seine Panikattacken, die er durch Sport auspowert und  in den Griff zu kriegen sucht. Sein Ehrgeiz, der Rolle als gleichberechtigter Partner  in einem zeitgemäßen  Familien-Modell gerecht zu werden krampft. Er und Theresa, seine Frau kümmern sich zu gleichen Teilen um die Erziehung der Kinder, sowie den finanziellen Unterhalt. Er hat jedoch immer das Gefühl, es genügt nicht, sei nicht genug und fühlt sich überfordert, - ist es. Es geht ihm schlecht.

Das Zerrbild einer modernen Familie entsteht, das Gefüge hält nicht zusammen.

So hautnah beschrieben, dass die Szenerie an Munch’s „Der Schrei“ erinnert, so greifbar ist die Verzweiflung, die Aussichtlosigkeit, Depression.

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Welche der Figuren stehen uns am nächsten:

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Es gibt hier keine Lieblingsfiguren, Menschen, die man gerne näher kennen möchte, denen man gerne begegnet wäre.

Es sind keine Identifikationsfiguren vorhanden, es ist rein Hennings seelenwundes Kindheitstrauma, seine Geschichte.

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Unsere Lieblingsstellen / Zitate:

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„Wenn er versucht, falsche Gedanken zu vermeiden rennt er wie ein gehetztes Reh durch den eigenen Kopf „

„Schließlich kommt es im Leben immer und überall darauf an, ob etwas funktioniert, und solange alles funktioniert, muss man eigentlich auch nichts machen“

 

Was hat uns am meisten berührt?

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Die furchtbare Situation der verlassenen Kinder, die Verzagtheit Hennings, alles „richtig“, verantwortungsbewusst mitdenkend zu machen, Luna gegenüber, nach Lob, Anerkennung der Eltern heischend.

Die Kinder, die sich durch Stunden und Tage quälen, Henning immer in seiner Beschützerrolle für Luna. Bei manchen Teilnehmerinnen ist die Grenze der erträglichen Vorstellung anhand der Leiden der Kinder erreicht.

Die Lieblosigkeit, das lange Schweigen der Mutter: „Ich hatte schon lange auf deinen Anruf gewartet“

Die Liebe der Geschwister, die gefühlte Verantwortlichkeit Hennings für Luna bis ins Erwachsenen-Dasein, die er nicht abgeben kann.

 

Was hat uns nicht gefallen?

 

Eindeutig der Schluss: Eventuell zu schnelles Ende einer dramatischen Entwicklung

– Rauswurf Lunas, um für sie dadurch ihre Selbständigkeit zu erzwingen – fraglich

-  Befreiung für Henning - fraglich

 

 

Würden wir das Buch empfehlen?

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Das Buch würden wir absolut empfehlen und auch verschenken, unter Umständen mit Vorwarnung, dennoch ein Lese-Erlebnis!

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