Caroline Wahl: 22 Bahnen:
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Wie hat es uns gefallen:
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Die Autorin zählt zu den Schriftstellerinnen der jungen Generation, in unserem Lesekreis sogar zur Jüngsten. Nach ihren eigenen Aussagen wollte sie eine zeitlose Geschichte schreiben, die jede Altersgruppe anspricht und weit weg von ihrem eigenen Leben ist.
Dem können wir so nicht zustimmen, ist doch jede Generation durch unterschiedliche technologisch und kulturelle Einflüsse geprägt, und bringt daher eigene Interessen, Werte und Erfahrungen mit. Erzählt wird in einer jungen Sprache, die klar und präzise ist, mit trendiger Ausdrucksweise. In den drehbuchhaften Dialog, die Variante der direkten Rede Er:, Sie:, muss sich erst eingelesen werden.
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Tilda schwimmt regelmäßig ihre 22 Bahnen, ein Ritual, das ihr Halt gibt, hilft, mit ihrem Alltag umzugehen. Eine junge Frau sehnt sich nach einem selbstbestimmten Leben, während sie mit katastrophalen familiären Belastungen, ersten Liebeserfahrungen und dem Bewusstsein ihrer Verantwortlichkeit konfrontiert ist.
Sie ist die zentrale Figur, eine starke junge Frau als Heldin. In einem Familienleben, das keines ist, versucht sie die jüngere Schwester zu schützen und zu coachen, „ich hätte 5 Monate Zeit, um Ida vorzubereiten. …Denn ich kann nur gehen, wenn Ida gewappnet ist. Sie müsste eine Kämpferin werden, und ich müsste sie rüsten. ….(…)“
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Seite 73: versäumte Jugend: „Ich bin die ganze Zeit hiergeblieben, ganze 6 Jahre nach dem Abi, und während meine Freunde wegzogen, umzogen und reisten ..(…)..war ich 6 Jahre hier, habe gearbeitet, studiert, Ida großgezogen..(..). Wie eine Oma. ..dabei weine ich immer noch, aber ich lache auch laut, weil ich Ida habe und Ida mich hat.“
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Was hat uns gefallen:
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Die Texte sind oft sehr poetisch und die Sehnsucht nach Freiheit fühlbar.
Seite 65 „…die Wolken flogen nur so dahin. Das Gesicht eines Pandabären, dem allmählich ein Körper wuchs, und ein Adler, der seine Flügel immer weiter ausbreitete.“
Schwimmen Seite 53:“....und das Wasser, in das ich mich ungeduscht fallen lasse, schmiegt sich um meinen erschöpften Körper und wäscht das Chaos, das ich ausgeschwitzt habe, von meiner Haut.“
Seite 150: „Der Herbst ist ein Magier, der alles verzaubert. Er hüllt die Welt in Wind, Nebel und Regen, und es riecht nach Leben. Grün wird zu Feuer.“
Seite 105: Zuflucht Lesen 😉
Die Gedanken über das Lesen, die Bücher: „Ich wusste, das Lesen ein guter Vorschlag sein würde. Lesen hat mir damals viel gegeben, und gibt mir immer noch viel. …(..) dass mir niemand diese Geschichten, diese Welten wegnehmen kann, in die ich mich zu flüchten vermag, beruhigte mich und machte mich unverwundbar.“
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Nicht gefallen hat uns, dass kein Perspektiv-Wechsel auf die Mutter stattfindet.
Auch das erfolgreiche Ende (Tilda coacht Ida so, dass sie ihren Weg auch mit der Distanz, die Tildas Doktoranden-Stelle mit sich bringt, zu ertragen glaubt. )– , halten wir für ein wenig 😉 realitätsfern. Es sorgt jedoch mit für das Wohlfühl-Gefühl, das sich beim Lesen einstellt….und: Der Märchenprinz für Tilda darf natürlich auch nicht fehlen.
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Berührend fanden wir:
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Toll beschrieben: Die Ambivalenz, die sich im Verhältnis zur Mutter hervorhebt: Sie wird sowohl als Bezugsperson als auch als Monster dargestellt, insbesondere wenn sie in ihrer Sucht gefangen ist. Das Wechselspiel zwischen den widersprüchlichen Gefühlen und Rollen – von Mutter zu Ungeheuer und umgekehrt- wird deutlich gezeigt.
Abtauchen in Fantasien:
Ida malt und erfindet Märchen, die sie mit Tilda zusammen weiterentwickelt, als Flucht von der Realität.
Seite 76 „Es war einmal eine mutige Ritterin. Ihr Name war Tilda.“
Als Lieblingsperson in der Gruppe wurde Ida gekürt, ein Kind, dessen absolute und einzige Bezugsperson in der desolaten Familie die große Schwester ist.
Fazit:
Wir würden es einordnen in die Kategorie Resilienz-Buch, es ist nicht verstörend, zerstörerisch, manchmal nicht ganz glaubhaft.
Für die ganz Jungen und jung Gebliebenen ist das Buch absolut zu empfehlen und gelungen. Die Älteren dürfen gern neugierig sein, es kann mit einem Augenzwinkern gelesen werden. Unsere Gruppe ist sich einig, das Buch ist besonders für die jüngere Generation geeignet, die mit frischem Blick und viel Energie in die Geschichte eintauchen möchte.
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