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Deniz Ohde: Streulicht

Deniz Ohde (* 1988 in Frankfurt am Main) ist eine deutsche Schriftstellerin. "Streulicht" ist ihr Debütroman.

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Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis nicht nur der Hausrat, sondern auch die verdrängten Erinnerungen hervorquollen. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, bis sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst - zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden. Deniz Ohde erkundet in ihrem Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Satz für Satz spürt sie den Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.

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Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist KEIN landläufig zu nennen „schönes“ Buch.

Der Schreibstil ist emotional sehr distanziert, wirkt Tatsachenbericht ähnlich, was als  Selbstschutz der Protagonistin empfunden wird. Die  Erzählung gleicht  einer Dokumentation mit  protokollarischer  Ausführlichkeit, dennoch ist die  innere Anspannung spürbar und der Ton nie moralisierend oder zensierend.

 

Was hat uns gefallen?

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Die Protagonistin zeichnet sich durch ihre Resilienz aus. Die Beharrlichkeit mit der sie  den  gesellschaftlichen und familiären Umständen  trotzt (doppelt fremd- isoliert -fühlend  als Arbeiterkind mit türkischem Elternteil) und ihr Studium aufnimmt.

Schön wird auch die 3er Beziehung aufgenommen: Die Protagonistin mit „geheimen Namen“, Sophia und Pikka erinnert die  Gruppe an die 3er- Freundschaft in „ Helle Tage“

 

Was hat uns gestört?

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Eltern von Pikka und  Sophia wirken leblos – als Originale geboren, die zur Kopie wird.

 

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  • Die Traumatas der Familie:

    • „wir waren 2 x ausgebombt“ der Vater, schwer in der Fabrik arbeitend, alkoholabhängig, jähzornig, Messi

    • „wir stehen unter Beobachtung“, der Vater gegenüber der Mutter, gebürtige Türkin

    • nur nicht auffallen „Man durfte zu keiner Zeit zur Bürde der Anderen werden“ die Protagonistin

 

  • Eigene Reflektionen zum Thema Schulsystem, Ignoranz und Toleranz

  • „Es war keine Identität die sich heraus bildete, sondern eher wurde sie mir entzogen, verschwand im Keller der Schule, zwischen bis in die 60er zurückreichenden Akten, weil ich die Einzige aus meinem Jahrgang war, die nicht auf eine höherer Schule wechselte…“

  • „Ich betrachtete die Tintenschrift, manchmal durch Tränenflüssigkeit verwischt, was ich damals zum Zeichen meiner Überforderung stehen gelassen hatte, in der Hoffnung, jemand würde es verstehen...“

 

Die Situationen des Werks erinnerten an:

Max Frisch

"Du bist nicht", sagt der Enttäuschte oder die Enttäuschte: "wofür ich Dich gehalten habe." Und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat.  

 

Am Meisten am berührt hat uns:

Der Gedankengang zur Selbstmord-Attentäterin in der Kirche – für die Protagonistin eine Form des Davongehens:

„Im Alter von zehn Jahren stellte ich mich auf meine Fensterbank und schaute nach unten auf die Straße. Es könnte vorbeisein, dachte ich“.  

 

Lieblingszitate:

„Ich stehe ja am Rande der Gesellschaft“, sagte ich und lachte in die Runde (….) Über mich selbst lachen, damit die anderen es nicht taten.“  - Ironie der Verzweiflung

 

Zeitgeist:

Zugehörigkeit und Identität

„Du bist Deutsche“, „du kannst nicht gemeint sein“ sagt die Mutter.

Die Protagonistin ist in Deutschland geboren und hat einen deutschen Pass.  –Die Integration fehlt.

 

Wie empfinden wir die Stimmung im Werk?

Die Stimmung wir als deprimierend empfunden

„kein Garten umschloss unser Haus, keine Birke spendete mir Schatten, denn aus Schatten bestand ja unser ganzes Grundstück, und unsere Wohnung war ein Geheimnis, das wir zu hüten hatten, dessen wir uns schämten“

 

Fazit / Empfehlung:

Ein Buch, das nicht nur einmal gelesen werden kann (muss), mit vielen Ansätzen zur Selbstreflektion.  Zum Nachdenken, wie man selbst reagieren würde, oder schon hat. Was  sind meine Empfindungen, habe ich mich schon ähnlich verhalten.  Es läßt den Leser*in erschüttert und in sich gekehrt zurück.

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