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Dina Nayeri: Drei sind ein Dorf

 

Wie hat es uns gefallen?

Die Reaktion der Lesegruppe ist unterschiedlich in Hinsicht auf die Thematisierung im Werk:

Zum einen liegt der „Schwerpunkt“  des Buchs nicht in der Flucht selbst, sondern behandelt die Entfremdung der eigenen Identität und der, der  zurückbleibenden Familienmitglieder.

Zum anderen  sind auch die Eindrücke über den Charakter der Protagonistin Nilou, die im Alter von acht Jahren mit ihrer Mutter (konvertierte Christin) und jüngerem Bruder aus Persien in der Geschichte auswandert, differenziert.

Auf manche wirkt sie in der Erzählung  sehr nüchtern oder kalt. Andere empfinden ihr Verhalten als  bewusste Distanzhaltung zur inneren Zerrissenheit, zum „Flüchtling-Sein“, dem verzweifelten Versuch  des  Dazu-Gehören-Wollens.

 

Was  hat uns gefallen?

Besonders schön und lebendig sind die gefühlvollen Beschreibungen  der verschiedenen Charaktere im Buch:

Die Mutter, hilfsbereit aufmerksam und verständnisvoll, anteilnehmend. Trotz Scheidung und 2 nachfolgenden Ehen ist sie immer noch bemüht ihrem Mann bzw. Exmann beim Entzug zu helfen.

Ein kleines Amüsement und fürs In-sich-hinein-Lächeln ist die Wiedergabe des Akzents der Mutter bei der Englisch-Konversation.    

Der Vater, als Wasserrutschen-Liebhaber, altpersische Lyrik liebend und rezitierend.

Nilous Bruder Kian, der in der Emigration in einer Restaurantküche arbeitet und nie weniger als 20 Zutaten für seine Spezialsoße verwendet.

 

Uns gestört hat:

Nilou als Protagonistin ist kein Sympathieträger:

Beispiele:

sind das rationelle Auswahlverfahren, mit der sie ihren Ehemann aus einer Dating-Rangliste erkoren hat, sie handelt zielorientiert.

Sie  schämt sich zu sehr für ihren Vater, er ist ihr schlichtweg peinlich, selbst ihrem Ehemann als Familienmitglied  gegenüber.

 

Die uns am nächsten stehende Figur ist:

Einhellig die absolute Nr. 1,  die des Vaters:  Liebenswert, herzlich, geistreich und lustig. Leider aufgrund seiner Sinnengenuss -und Opiumsucht unfähig, der Familie in die Emigration und das Zusammenleben zu folgen.

 

Am meisten berührt hat uns:

  • Die Entfremdung vom Vater, die mit jedem der wenigen Treffen deutlicher hervortritt, ihr Erwachsenwerden und sein Alterungsprozess finden völlig losgelöst voneinander statt.

  • Nilous Rückzugsort, ihre wie sie selbst sagt, ihre Schutzzone.

            9 Dokumente, die ihr das Recht auf ihr Leben geben (Einwanderungspapier,       Heiratsurkunde Yale-Diplom,  Eigentumsnachweis Wohnung u. a.)

  • Die Veränderung zur Disharmonie gegenüber ihrem Ehemann:

Nilous Teilnahme an der  Amsterdamer Exil-Iraner-Szene immer wird größer, jedoch lehnt sie Guillaumes Angebot zur Mitarbeit, Mithilfe (professionell als Anwalt) ab, lässt ihn an den  Treffen nicht teilhaben, separiert sich.

 

Überreaktion: Verlust des Gewürzglases ihrer Großmutter: „Das ist Guillaumes Haltung zum Leben, zu Besitz. Wenn etwas nicht teuer aussieht ist es wertlos.“  Die Haltung zum Partner ist mittlerweile eher abschätzig.

  • Erarbeitete Verhaltensmuster als „Rettungsring“:

„Oktober 2009 - nach dem Tod ihres Freundes flüchtet sie sich wieder in  alte Gewohnheiten Ihr Lehrplan,  kauft Gummibärchen, kocht wieder mit Messbechern…“  

 

Zitat

"..Wenn du etwas verloren hast, kehrst du an den Ort zurück, wo du es zuletzt gesehen hast, und suchst danach, Wo sonst hätte Nilou nach ihrer verlorenen Freude suchen sollen, ihrem wilden Kinderherzen, wenn sie es zuletzt in deiner Flüchtlingsunterkunft gesehen hatte?" S.362

 

Zeitgeist

Wir sprachen über:Heimatverlust und Integration, Wurzeln und Identität,  Weltweite Fluchtbewegung, Stellvertreterkriege.

Seite 160: „Schon möglich, dass die Armen litten, aber es sind NIE die Armen, die etwas verändern“.

 

Wie empfinden wir die Stimmung im Werk?

Die Stimmung im Werk ist konfliktbeladen, zeigt immer wieder seelische Zerrissenheit, Suche nach Identität „erworben“ (Yale-Abschluss, Wohnung in Amsterdam) oder durch Geburt  (8 Jahre glücklich im Schoße der Familie im Iran). Gleichzeitig der Drang nach Anerkennung , Gleichstellung, Sicherheit.

 

Wahre Worte, sollten allgemein zum Nachdenken anregen:  Die Überlegungen Bahmans:

„Machten Europäer  sich eigentlich klar, was für ein Glück sie hatten, durch den Zufall der Geburt  so viel Ordnung und Fürsorge zu erfahren? „

 

Erinnert an: Khalil Gibran: Machen wir uns bewusst, über welch unglaubliche Reichtümer und Umstände wir verfügen!

 

Der Schluss wird von allen einheitlich infrage gestellt:

 Vater, Mutter, Tochter in Schutzparzelle  (Drei sind ein Dorf) -   

Mutter Pari versöhnt, nimmt wirklich ihren Ehemann wieder zurück, wieder zusammen mit Baba? Und… Nilou glücklich?.... Getrennt von Guillaumes… ?

Ein Wunschbild, in dem ein wirklicher Neu-Anfang liegt….

 

 

 

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